C. Eugène Roy (ca. 1790–1827)
24 Kleine Duos
für 2 Flageolette (Blockflöten in c)
Herausgegeben von Ulrich Thieme
Girolamo G 12.036, Spielpartitur, € 18,00
ISMN 979-0-50084-060-2
Vorliegende Ausgabe basiert auf zwei undatierten Stimmheften (im Besitz des Herausgebers) mit dem jeweils gleichen, kalligrafisch gestalteten TitelblattVingt-quatre / PETITS DUOS / Pour deux Flageolets, /
Composés et Dédiés / à Mr. Joseph Clerc, son Elève, /
Par / C. EUGÈNE ROY, / Professeur à Paris /
Œuvre 13 … Prix 6f. / ... /
À LA HAYE, / Chez F. J. Weijgand,
au Grand Magasin de Musique et d'Estampes.Die Stichplatten-Nr. ist 882.
Seit den Nachforschungen Adrian von Steigers wissen wir, dass dieser Druck aus La Haye (Den Haag) mit identischem Titel, gleicher Opuszahl und Plattennummer offenbar bereits ca. 1819 bei Erard in Paris erschienen ist. Die hier verwendete Druckfassung mag ca. 1822 in Zusammenhang mit dokumentierten Reisen des Komponisten entstanden sein.
C. Eugène Roy wurde um 1790 im französischen Jura geboren und gelangte nach längerem Aufenthalt in Lyon ca. 1819 nach Paris, wo er als Trompeter und Flageolettspieler in Militär- und Opernorchestern tätig war und als Komponist, eher aber als Arrangeur von Stücken im jeweils modischen goût du jour hervortrat. Er verfasste zahlreiche Instrumentalschulen, aus denen sein Lehrwerk für Klappentrompete, 1824 bei Schott in Mainz erschienen, und gleich mehrere für das Flageolett (mit und ohne Klappen), herausragen. Mit diesem Instrument gelangte er als Virtuose zu einem gewissen Ruhm, den er auf Auslandsreisen festigen konnte. Roy starb vermutlich 1827 in Marseille.
Flageolet bedeutet bei Roy das "französische Flageolett". Neben dem Csakan im Wiener Raum und dem "englischen Flageolett" im British Empire ist auch das "französische Flageolett" eines jener Nachfolgeinstrumente der barocken Blockflöte, die in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts entwickelt bzw. weiterentwickelt wurden. Sie alle halten am Prinzip der Tonbildung einer Blockflöte fest, bei der der Luftstrom des Spielers sich an einer Labialschneide bricht. Bei den Flageolettinstrumenten wurde jedoch das schnabelförmige Mundstück der Blockflöte ab ca. 1800 durch eine Windkapsel ersetzt, in die ein kleiner Schwamm zur Aufnahme der Atemfeuchtigkeit eingesetzt war. Durch ein schmales, oft aus Elfenbein gefertigtes, Röhrchen wird das Instrument angeblasen. Allen diesen Nachfolgeinstrumenten der barocken Blockflöte ist im genannten Zeitraum ihre Ausstattung mit immer mehr Griffklappen gemeinsam.
Das "französische Flageolett", bereits 1636 von Marin Mersenne in Bau und Spielweise (noch ohne Klappen) beschrieben, aber sicher seit dem späten Mittelalter bekannt, hatte seit jeher immer nur vier Grifflöcher auf der Vorderseite, dafür aber zwei Daumenlöcher auf der Rückseite. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erhielt nun also auch dieses Instrument zahlreiche Klappen – bis hin zum Boehm-System um 1850 –, wobei die genannte Anordnung der Griff löcher unverändert blieb. Eine relativ weite Bohrung ermöglichte eine überraschende Lautstärke. Die Gesamtlänge des Instruments (Anblasrohr / Windkapsel / Labium- und Griff lochteil) betrug ca. 30 bis 40 cm – je nach der Gesamtlänge der schwingenden Luftsäule, die seinen Grundton bestimmt. Als Grundton waren nahezu alle Töne ab (klingend) d2 aufwärts denkbar, d. h. das Instrument wurde in vielen verschiedenen Größen hergestellt. Wenn wir für die hier vorgelegten Duos von C. E. Roy den recht verbreiteten Grundton d2 annehmen, dann kommt ihre Wiedergabe auf Sopranblockflöten der originalen Klanglage sehr nah. Das gelegentlich auftretende cis2 (notiert cis1) wurde bei einem Flageolett in d2 durch eine Teildeckung des Schalllochs mit dem kleinen Finger spielbar.
Roys gefällige Miniaturen, stilistisch etwa zwischen Haydn und dem jungen Rossini zu sehen, präsentieren sich in einem ansprechenden und durchaus sorgfältigen Druck seiner Zeit. Für die vorliegende Ausgabe wurden einige eindeutige Fehler stillschweigend korrigiert und Ergänzungen an Parallelstellen vorgenommen. Als Artikulationszeichen verwendet Roy, außer sorgfältig platzierten Legatobögen, Staccatopunkte und kleine senkrechte Striche über den Noten, die eine kurze und leichte bzw. eine kurze und markierte Spielweise fordern. Die Setzung dieser Zeichen jedoch ist lückenhaft, inkonsequent und widersprüchlich und erscheint, z.B. bei Parallelstellen, häufig austauschbar. Unsere Ausgabe versucht, die Intentionen des Komponisten etwas präziser und konsequenter zu vermitteln, lässt dabei aber bewusst auch den Spielern Raum für eigene Entscheidungen. Das gilt auch für die Notation der Vorschläge, die bei Roy, ebenfalls inkonsequent und widersprüchlich, als Achtel- bzw. Sechzehntelnoten in Kleinstich erscheinen. In unserer Ausgabe werden die Vorschläge vor Achtelnoten als Achtel, diejenigen vor Sechzehntelnoten als Sechzehntel in Kleinstich wiedergegeben (Ausnahme: in Nr. 19 sind alle als Sechzehntel gedruckt, da sie als kurze Vorschläge zu spielen sind). Aus wendetechnischen Gründen wurde die Reihenfolge der Stücke mitunter geändert, bleibt aber durch die Nummerierung erkennbar.
Meinen Kollegen Adrian von Steiger und Peter Thalheimer danke ich für hilfreiche und freundlich erteilte Auskünfte.
Hannover, im August 2013, Ulrich Thieme