Giovanni Battista Draghi (um 1640–1708)
The soft complaining fluteArie aus der Cäcilien-Ode "From Harmony", London 1687
für Alt, 2 Altblockflöten und Basso continuo
Herausgegeben von Peter Thalheimer
Girolamo G 11.018, Partitur und 4 Stimmen, € 20,00
ISMN 979-0-50084-090-9
Vorwort
Giovanni Battista Draghi (um 1640–1708) wurde vermutlich in Rimini geboren und erhielt seine Ausbildung wahrscheinlich im damaligen italienischen Opernzentrum Venedig. 1663/64 wurde er zusammen mit anderen italienischen Musikern von König Charles II. nach England geholt, um dort eine englische Operntradition zu begründen. Schon nach wenigen Jahren war Draghi in London geschätzt als Komponist, Sänger, Cembalist und Librettist. Von 1673 an arbeitete er mit Matthew Locke (1621/22–1677) zusammen und wurde 1677 dessen Nachfolger als Organist der Königin in Somerset House. 1687 wurde Draghi Organist der Privatkapelle von König James II., später wirkte er als Musiklehrer der Prinzessinnen Mary und Anne.
Von Draghis Kompositionen sind hauptsächlich Lieder, Cembalostücke und die Ode „From Harmony“ zum Fest der Heiligen Cäcilia erhalten. Die Ode entstand für die „Society of Gentlemen Lovers of Music“ und wurde am 22. November 1687 zu St. Cecilia’s Day in der „Stationers’ Hall“ in London erstmals aufgeführt. Dem Werk liegt das Gedicht „From Harmony“ von John Dryden (1631–1700) zugrunde. Nach einem Lob der Harmonie in der Musik werden darin die charakteristischen Ausdrucksfähigkeiten der verschiedenen Instrumente beschrieben.1 Auf den gleichen Text griff 1739 Georg Friedrich Händel für seine Ode for St. Cecilia’s Day HWV 76 zurück.
Die vorliegende Arie „The soft complaining flute“ bildet den vierten Teil der Cäcilien-Ode Draghis. Ihr liegt ein typisch englischer „Ground“ zugrunde, ein fünftaktiges Bassthema, das elfmal wiederholt und im Mittelteil transponiert wird. Im Text geht es um das Klagen der Blockflöte, dargestellt durch Seufzerfiguren und Chromatik, sowie um das sanfte Tönen der Laute („warbling“).
Einen Höhepunkt in der Affektgestaltung bilden die mit „very soft“ bezeichneten Partien bei dem Wort „warbling“ (Takte 45–46 und 50–51). Die in den Blockflötenpartien notierten Wellenlinien verlangen als Imitation eines Orgel-Tremulanten ein pulsierendes Atemvibrato. Es entspricht dem frühbarocken „Tremolo“, das im Blockflötenrepertoire erstmals 1620 bei Giovanni Battista Riccio auftritt.2
Wie die beiden ältesten Quellen belegen, wurde die Vokalpartie der Arie bei einer der ersten Aufführungen von dem Countertenor William Turner gesungen. Sie kann heute jedoch auch von einer Altistin übernommen werden. Die englischen Blockflöten der Zeit um 1687 entsprachen dem Bressan-Typus, der heute wieder gebaut wird. Sie waren im damaligen englischen Kammerton a1 bei etwa 408 Hz gestimmt.
Die Quellen der Cäcilien-Ode enthalten keine eindeutigen Informationen zur Besetzung des Generalbasses. Als Bass-Melodieinstrument kommt sicher das Violoncello („bass violin“) in Frage, weil es regulärer Bestandteil des fünfstimmigen Streicherensembles war, das in anderen Sätzen der Ode mitwirkte. Als Akkordinstrumente werden in Drydens Gedicht die Laute und in Satz 6 die Orgel genannt. Dies kann für heutige Aufführungen als Empfehlung gesehen werden, obwohl nicht belegt ist, dass diese Instrumente in frühen Aufführungen der Ode eingesetzt wurden.
Draghis Autograph der Ode ist verschollen. Ihr vierter Satz, die Arie „The soft complaining Flute“, ist in vier Partiturabschriften3 überliefert:
A Partiturabschrift des Royal College of Music London, Signatur MS 1106, fol. 29–74. Der Titel lautet Sign.r Baptists Song on St. Cecilias Day 1687 Performd att Stationers Hall.
B Partiturabschrift der Chichester Cathedral, in der Verwaltung des West Sussex Record Office Chichester. Die Ode ist in der Sammelhandschrift The Music Book of John Walter enthalten, Signatur MS Cap. VI/1/1, fol. 13v–33r.
C Partiturabschrift des Royal College of Music London, Signatur MS 1097, geschrieben von John Blow (1649–1708).
D Bodleian Library Oxford, Signatur Tenbury MS 1226, fol. 2r–35r. Sammelhandschrift, geschrieben von John Reading (um 1645–1692), von 1681 bis zu seinem Tod Organist am Winchester College.Vermutlich gehen die Abschriften A und B auf die gleiche Vorlage zurück, vielleicht war es das Autograph. Die Abweichungen im Noten- und Worttext zeigen, dass die Abschriften C und D ihrerseits eine gemeinsame Vorlage hatten. Fehler im Untersatz in C könnten darauf hinweisen, dass die Vorlage ein Stimmensatz war.
Unsere Ausgabe orientiert sich an den Quellen A und B, die wohl die ursprüngliche Fassung überliefern. Die in den Quellen C und D enthaltenen Änderungen bleiben unberücksichtigt. Die Einzelanmerkungen sind als PDF-Dokument abzurufen unter:
www.girolamo.de/Revisionsbericht-G11018.pdfKlaus Hofmann sei für zahlreiche Ratschläge und den genannten Bibliotheken für die Übermittlung von Quellenkopien gedankt.
Schwäbisch Hall, im August 2024, Peter Thalheimer
1 Genaueres zu Drydens Gedicht bei Roger Bray: Dryden and Draghi in Harmony in the 1687 ‘Song for St Cecilia’s Day’, in: Music and Letters 78 (1997), S. 319–336.
2 Wie spätere Quellen belegen, wurde es ohne Zungenartikulation ausgeführt, vgl. Greta Moens-Haenen: Das Vibrato in der Musik des Barock. Ein Handbuch zur Aufführungspraxis für Vokalisten und Instrumentalisten; Graz 1988, S. 137, 253ff.
3 Einige Details der Quellenbeschreibungen wurden der List of Sources von Bryan White entnommen, enthalten in: Giovanni Battista Draghi, From Harmony, from heav’nly Harmony, A Song for St. Cecilia’s Day, 1687, London 2010 (Purcell Society Edition, Companion Series, Vol. 3)
Giovanni Battista Draghi
The soft complaining fluteThe soft complaining flute,
in dying notes discovers
the woes of hopeless lovers
whose dirge is whisper’d
by the warbling lute.The words by John Dryden
Die sanft klagende Flöte
besingt in ersterbenden Tönen
die Schmerzen hoffnungslos Liebender,
deren Klagelied geflüstert wird
von der sacht tönenden Laute.