Pierre Danican Philidor (1681–1731)
Zwei Suiten (op. 1/Nr. 2 und 4)
für 2 Altblockflöten und Basso continuo
Herausgegeben von Ulrich Thieme
Generalbassaussetzung von Bernward Lohr
Girolamo G 12.044, Partitur und 3 Stimmen, € 24,00
ISMN 979-0-50084-064-0
VorwortDer 1681 in Paris geborene und 1731 in Versailles gestorbene Pierre Danican Philidor stammte aus der weitverzweigten Musiker- und Komponistenfamilie Danican, die wohl ursprünglich aus Schottland stammte (Duncan) und der bereits Ludwig XIII. um 1620 den Beinamen Philidor gegeben hatte. Auch die folgenden Generationen waren im engsten Umfeld des französischen Hofes als Komponisten und vor allem als Holzbläser tätig und dienten in dessen prominenten Institutionen, der Grande Écurie, der Chapelle und der Chambre du Roi. Pierres Cousin Anne gründete 1725 die Konzertreihe Concert spirituel, in der später auch Mozart auftrat. Zwei weitere Mitglieder dieser Familie sind außerdem als Musikbibliothekar bzw. Schachmeister berühmt geworden.
Auch Pierre war als Komponist, Flötist und Oboist in königlichen Diensten tätig. An gedruckter Kammermusik hinterließ er mehrere Suiten für dessus et basse, also für eine Oberstimme und B.c., und für zwei Traversflöten mit und ohne B.c. Seine Bühnenwerke, eher pastoralen Charakters, gelten heute zum Teil als verschollen.
Die hier in praktischer Neuausgabe vorgelegten Suiten 2 und 4 stammen aus seiner 1717 veröffentlichten Sammlung von insgesamt sechs Suiten für zwei Oberstimmen (dessus) und B.c. Als Quelle dienten die in der Pariser Nationalbibliothek bewahrten und mit PREMIER DESSUS, SECOND DESSUS und BASSE bezeichneten drei Stimmbücher.
Die im Original nur mit dessus bezeichneten Oberstimmen können zwar auf jedem Melodieinstrument mit entsprechendem Umfang gespielt werden, aber es gibt keinen Zweifel, dass Philidor in erster Linie an eine Ausführung mit Traversflöten gedacht hat (d1, der tiefste Ton der barocken Querflöte, wird nie unterschritten). Oboen eignen sich ebenfalls, und auch eine Kombination Flöte/Oboe ist natürlich denkbar.
Die vorliegende Ausgabe bringt die Suiten in einer um eine kleine Terz nach oben transponierten und dadurch, wie üblich, für Altblockflöten spielbaren Fassung. Die Bezifferung des Generalbasses wurde ggf. den neuen Tonarten angepasst, auch wenn sie schon in der Vorlage nicht immer dem Verlauf der Oberstimmen entspricht. Die originale Vorzeichensetzung (Vorzeichen gilt in der Regel nur für die Note, vor der es steht) wurde im Sinne heutiger Praxis verändert. Die Balkensetzung des Originals ist uneinheitlich, oft widersprüchlich und lässt keine musikalischen Absichten erkennen. Sie wurde daher im Sinne heutiger Standards der Notengrafik vereinheitlicht. Satzüberschriften und Spielanweisungen sind in originaler Orthografie wiedergegeben. Einige wenige Unstimmigkeiten wurden stillschweigend korrigiert. Alle Zusätze des Herausgebers sind (nur) in der Partitur als solche kenntlich.
Bei der Wiedergabe dieser Musik, die stilistisch zwischen dem hochbarocken Pathos eines Lully und der rokokohaft verspielten Flötenmusik des französischen Spätbarocks steht, sind selbstverständlich die den "französischen Geschmack" kennzeichnenden Stil- und Spielregeln zu beachten. Sie sind inzwischen (wieder) bekannt, und Stichworte mögen genügen: "inegales" Spiel, eine dem jeweiligen Affekt gemäße Ausführung punktierter Noten, schließlich ein deutlich charakterisierender Vortrag der verschiedenen Tanzsätze.
Philidors penible Notation der Ornamentik spiegelt die Bedeutung dieser agréments für den "Ton" und Geist seiner Musik. Es bedeuten
tremblement
Mit der oberen Nebennote beginnender Triller.battement
Mordent, auch mehrfach zu "schlagen". Ihm geht häufig ein Vorhalt von unten voraus.flattement
Das für die französische Bläsermusik so wichtige Fingervibrato. Auf den alten, weitgehend klappenlosen Instrumenten, auch heute auf der Blockflöte, wird durch eine trillerähnliche Bewegung eines "freien" Fingers auf oder am Rande eines geeigneten Griff lochs der gespielte Ton charakteristisch gefärbt.Man bedenke schließlich, dass die Länge der notierten oder in Verbindung mit einem Triller zu spielenden Vorhalte ein variables Ausdrucksmittel ist, ebenso sind es Dauer und Geschwindigkeit des Trillers selbst.
Hannover, im Mai 2019, Ulrich Thieme