Johann Nicolaus Nicolai(?) (gest. 1728)
Sonata F-Dur
für Altblockflöte und Basso continuo
Herausgegeben von Peter Thalheimer
Girolamo G 12.051, Partitur und 2 Stimmen, € 16,00
ISMN 979-0-50084-080-0
Vorwort
Der Erbprinz Friedrich Ludwig von Württemberg-Stuttgart (1698–1731), Sohn des württembergischen Herzogs Eberhard Ludwig, spielte Blockflöte und Traversflöte. Von seiner reichhaltigen Notenbibliothek sind heute noch etwa 320 Werke erhalten. Zu diesem Repertoire gehören auch einige Stücke mit Blockflöte, die mittlerweile gedruckt vorliegen, so z. B. das berühmte Quintett in h-Moll von Loeillet für zwei Flauti di voce, zwei Flauti traversi und Generalbass, die Blockflöten-Sonate in c-Moll von Louis Detry und das Concerto B-Dur für Flauto piccolo, das Georg Friedrich Händel bzw. Antonio Montanari zugeschrieben wird.
Die Notensammlung des Erbprinzen wird jetzt in der Universitätsbibliothek Rostock aufbewahrt. Unter der Signatur Mus. Saec. XVIII.-64.9 gehört zu diesen Beständen auch eine Sonate in F-Dur mit der Überschrift Flauto solo, die in der vorliegenden Ausgabe erstmals veröffentlicht wird. Ihre Tonart sowie die Lage und der Umfang der Solostimme zeigen, dass das Werk für die Blockflöte bestimmt ist.1 Die Quelle besteht aus zwei handschriftlichen Partituren, wobei die zweite als erweiterte Abschrift der ersten gelten kann. Die beiden Partituren unterscheiden sich besonders im zweiten Satz: Während die erste Partitur als kleinste Notenwerte Sechzehntelnoten enthält, wurden diese in der zweiten Partitur an einigen Stellen durch Zweiunddreißigstel-Diminutionen ersetzt. Durch diese und weitere Änderungen steigerte sich der spieltechnische Anspruch der Sonate deutlich.
Der Komponist der Sonate wird in der Quelle nicht genannt. Als Schreiber der beiden Partituren konnten Ortrun Landmann2 und Ekkehard Krüger3 Johann Nicolaus Nicolai (gest. 11.02.1728) ermitteln. Nicolai kam zwischen 1699 und 1704 von München aus an den Württembergischen Hof. Johann Christoph Pez (1664–1716), der seit 1706 als Oberkapellmeister in Stuttgart wirkte, berichtete 1714: Nicolai blast ein sehr guthe Fletten, wie auch die Flute Allemande, und Houtbois, accompagniret auch sehr wohl auf den cembalo, für welchen ich ihn oft brauche.4 Der Stuttgarter Stiftskapellmeister Johann Georg Christian Störl (1675–1719) notierte 1717: Nicola Schlägt die Orgel zu Ludwigsburg, bläßt die Flötte traversire, auch eine gemeine Flöte in guter Manier und perfection.5
Nicolai hat eine eigene Notensammlung angelegt, die jetzt in die Württembergische Hofmusik in der Universitätsbibliothek Rostock integriert ist. Sie enthält u. a. gedruckte Werke von Girolamo Frescobaldi, Michel de la Barre und Reinhard Keiser sowie eigene Abschriften von Werken von Georg Philipp Telemann, Johann Christoph Pepusch und Johann Joachim Quantz. Als Nicolais eigene Kompositionen können bisher nur zwei Suiten mit dem Titel Pieces pour la Musique de chambre für Vn Flute seul | Vn Lut | Vn Viola da Gamba nachgewiesen werden. Sie entstanden 1720 während eines Sommeraufenthalts in Bad Teinach/Schwarzwald für den Erbprinzen. Unter den anonym überlieferten Werken der Württembergischen Hofmusik befinden sich jedoch höchstwahrscheinlich weitere Stücke aus Nicolais Feder.6
Die Abweichungen zwischen den beiden Partiturhandschriften entstanden offenbar bei der Abschrift des zweiten vom ersten Manuskript. Sie stammen also wohl von Nicolai. Die Änderungen im zweiten Satz zeigen, dass der Schreiber mit den Möglichkeiten der Blockflöte bestens vertraut war. Damit wird es wahrscheinlich, dass es seine eigene Komposition war, die Nicolai beim Abschreiben weiterentwickelt hat. Für den vorliegenden Erstdruck wurde deshalb als Komponistenangabe "Johann Nicolaus Nicolai(?)" gewählt.
Für unsere Ausgabe wurde die Blockflötenstimme vom französischen in den gewöhnlichen Violinschlüssel übertragen. Ergänzte Haltebögen sind durchbrochen notiert. Die anspruchsvollere Zweitfassung des zweiten Satzes erscheint als Hauptnotentext, die Abweichungen der Erstfassung werden als Ossia-Zeilen wiedergegeben, um die Sonate auch weniger virtuosen Spielern zugänglich zu machen.7 In der Passacaglia hat Nicolai die Basslinie im Anschluss an die komplette Flötenstimme nur einmal notiert und mit Wiederholungszeichen versehen. In unserer Ausgabe wurde der Bass der Flötenstimme fortlaufend unterlegt. Dabei wurden die in beiden Quellen im wechselnden Abstand von 3, 6 oder 9 Vierteln gesetzten Taktstriche entsprechend dem vorgezeichneten ¾-Takt ergänzt. Die Takte 71–77 der Passacaglia fehlen in der ersten Niederschrift. Daraus ergibt sich für die Zweitfassung eine Kürzungsmöglichkeit, die als vi-de eingefügt wurde. Die Generalbassbezifferung ist eine Zusammenfassung aus den beiden Handschriften, die Aussetzung ein Vorschlag des Herausgebers, der improvisatorisch modifiziert werden kann.Der Universitätsbibliothek Rostock sei für die freundlich erteilte Publikationserlaubnis und Klaus Hofmann für die kritische Durchsicht des Manuskripts gedankt.
Ilshofen, im September 2018, Peter Thalheimer
1 Bei Ekkehard Krüger: Die Musikaliensammlungen des Erbprinzen Friedrich Ludwig von Württemberg-Stuttgart und der Herzogin Luise Friederike von Mecklenburg-Schwerin in der Universitätsbibliothek Rostock, Beeskow 2006, Band II/2, S. 1081, wird das Werk der Traversflöte zugewiesen.
2 Ortrun Landmann: »Pour l'usage de Son Altesse Serenissime Monseigneur le Prince Hereditaire de Wirtemberg«. Stuttgarter Musikhandschriften des 18. Jahrhunderts in der Universitätsbibliothek Rostock, in: Musik in Baden-Württemberg, Jahrbuch 1997, Band 4. Im Auftrag der Gesellschaft für Musikgeschichte in Baden-Württemberg hrsg. von Georg Günther und Rainer Nägele, Stuttgart und Weimar 1997, S. 173.
3 Ekkehard Krüger, Band II/2, S. 1081.
4 Zitiert nach Ekkehard Krüger, Band I, S. 264.
5 Zitiert nach Ekkehard Krüger, Band I, S. 265.
6 Ekkehard Krüger, Band I, S. 266.
7 In diesem Fall muss in T. 15–16 des Allegros die Ossia-Fassung der Blockflötenstimme mit dem Ossia-Bass kombiniert und die Aussetzung entsprechend modifiziert werden.